Für die Natur Südafrikas riskieren sie ihr Leben
Wer auf Tiersafari geht, erwartet Elefantenherden, Zebras und gähnende Löwen. Das Leben im südafrikanischen Busch ist jedoch alles andere als idyllisch. Ein Augenschein bei den Wildhütern des Krüger-Nationalparks.
* Susanna Müller, 11.5.2018
Der Land Rover bahnt sich mühsam seinen Weg durch die Büsche. Zweige krachen unter den Pneus, armdicke Stämme werden zu Boden gedrückt. Es ist sechs Uhr abends und bereits dunkel. Der Kegel des Scheinwerferlichts dringt durch die Nacht. Sinhle Mathebula hat die Suche nach den Löwen noch nicht aufgegeben. Zu Recht: Plötzlich schälen sich drei sandfarbene Rücken aus dem Dunkel. Es sind Löwenweibchen, die ruhig durchs Gebüsch ziehen.
Das Motswari-Wildreservat liegt im Nordosten Südafrikas, eine gute Autostunde von der Stadt Hoedspruit entfernt, am Rand des Krüger-Nationalparks. Auf den 150 Quadratkilometern des privaten Geländes verkehren nur wenige Fahrzeuge. Es gibt keine Zäune, welche das Wild daran hindern, zwischen Nationalpark und Reservat hin und her zu wandern. Vor kurzem hat es geregnet, das Gras steht meterhoch. Tiere sind nicht allzu viele zu sehen. Doch Sinhle will unbedingt seinen Gästen die Big Five zeigen: Löwe, Leopard, Elefant, Nashorn und Büffel. Der Leopard fehlt noch. Die Stimmung ist schlecht, Sinhle ist frustriert.
Wilderei ist explodiert
Der achtundzwanzigjährige Sinhle arbeitet als Guide in der Motswari-Lodge. Früher war er in einem Rhinozeros-Schutzprogramm tätig. Die Wilderei an Nashörnern ist in letzter Zeit explosionsartig gestiegen; vergangenes Jahr wurden über 1000 dieser Kolosse illegal getötet. In Vietnam und China schwört man auf die heilende und aphrodisierende Wirkung ihres Horns. Dabei sprechen mehrere wissenschaftliche Untersuchungen dem Nashornpulver solche Eigenschaften ab. Nach wie vor erzielen Händler auf asiatischen Schwarzmärkten mindestens 80 000 Dollar für ein Horn von 1,5 bis 2 Kilogramm.
Geschätzte 20 000 Breitmaul- und 5000 Spitzmaulnashörner leben in Afrika, der Grossteil von ihnen in Südafrika. «Wir haben den Tieren eine giftige Substanz ins Horn injiziert», erklärt Sinhle. «Dieses Gift sieht man von aussen nicht. Das Horn aber wird dadurch wertlos; es kann nicht mehr für medizinische Zwecke gebraucht werden. Wer das Pulver konsumiert, stirbt.» Dies ist nur einer der Versuche im Kampf gegen die Wilderei. Ins Horn implantierte Mikrochips oder DNA-Proben von Nashörnern können dabei helfen, die Täter hinter Gitter zu bringen.
Nicht nur Rhinozerosse werden gewildert, sondern auch Elefanten, Löwen und Gürteltiere. 20 000 Elefanten werden jährlich abgeschlachtet. Ihre Stosszähne bringen Millionen ein. Auch die Nachfrage nach Löwenknochen boomt. Seit in Asien der Bestand an Tigern zusammengebrochen ist, greift man in der dortigen Medizin auf Löwen zurück. Und viele Menschen in Asien und Afrika glauben, dass die Schuppen der Gürteltiere, Pangoline genannt, wundersame Heilkräfte besitzen. «Wenn man bei Gewitter das Pulver ihrer Schuppen verbrennt, kann durch den Rauch der Blitz abgeleitet werden», sagt Sinhle. Das seltene Säugetier gehört zu den am meisten gewilderten Tieren der Welt. Der Pangolin ist so begehrt, dass er vom Aussterben bedroht ist.
Zwei Tage vorher. «Ich bin ein Soldat der Natur», stellt sich Martiens Maleba vor. Vor seinem nächsten Feldeinsatz ist er im Southern African Wildlife College in der Nähe von Hoedspruit vorbeigekommen. Er trägt einen grünen Tarnanzug und Schnürstiefel aus schwarz poliertem Leder. Mit seiner durchtrainierten Figur und dem kontrollierten Blick könnte er als Model durchgehen. Er flüstert eindringlich: «Ich bin zäh und gefährlich, sehr gefährlich.» Martiens arbeitet als Field-Ranger im Krüger-Nationalpark. Seine Aufgabe als Wildhüter ist es, die Natur zu erhalten und zu schützen. Dazu gehört auch, Wilderer aufzuspüren und dingfest zu machen. Tarnanzug, Gesichtsbemalung oder eine Maske helfen dem Fünfundzwanzigjährigen, sich fast unsichtbar durch den Busch zu bewegen: «Ich gehe unter dem Gras durch, keiner sieht mich.» Sieben Tage dauert jeweils ein Einsatz in der Einsamkeit, ohne Handy, ohne Elektrizität. Nahrung und Wasser werden mitgeführt. Field-Ranger sind bewaffnet. Durchschnittlich zweimal pro Woche stossen sie auf Wilderer.
Körperliche und mentale Stärke
Das Ehepaar Ruben und Marianne de Kock ist in den frühen Fünfzigern. Die beiden haben früher in der südafrikanischen Armee gedient. Heute bilden sie für das Southern African Wildlife College Field-Ranger aus. «Wer im Sinn hat, Field-Ranger zu werden, muss körperlich und mental stark sein», sagt Marianne. «In diesem Beruf heisst es, unter Stress sehr schnell die richtigen Entscheidungen zu fällen.» Interessierte müssen ein strenges fünftägiges Auswahlverfahren absolvieren, bevor sie überhaupt in den Lehrgang aufgenommen werden. 10-Kilometer-Märsche mit 20 Kilo Sand auf dem Rücken gehören zum Programm, oder Nächte, in denen nie mehr als zwei Stunden Schlaf am Stück drinliegen. Fünfzehn Instruktoren beobachten und bewerten die Kandidaten Tag und Nacht. «Je müder ein Mensch ist, desto besser kommt seine Persönlichkeit zum Vorschein», ist Marianne überzeugt. Sie mutet ihnen viel zu. «Ich liebe meine Field-Ranger», sagt sie, und ihr Blick bekommt etwas Weiches. Von rund 120 Kandidaten finden etwa 30 Gnade vor den strengen Augen der Instruktoren. Das Interesse an den College-Lehrgängen ist gross das ist auch bei den Field-Rangern nicht anders.
Martiens hat nicht nur das Auswahlverfahren bestanden, sondern auch die mehrwöchige Ausbildung mit Erfolg absolviert. Bevor er ans College ging, war er arbeitslos. Field-Ranger zu sein, ist für ihn das Grösste. Er möchte nichts anderes. Angst macht ihm sein unberechenbarer Job nicht. «Ich bin stark und gefährlich», wiederholt er selbstsicher und fügt an: «Tiere kann man lesen. Sie fürchte ich nicht. Vor den Wilderern muss man aufpassen.» Immer wieder schiessen Wilderer auf ihre Verfolger. In Afrika sterben jährlich etwa 1000 Ranger. Im Busch herrscht ein richtiggehender Krieg.
Skurril ist die Geschichte von einem Ranger, der Wilderer dabei erwischte, wie sie ein Zebra töteten und ausnahmen. Um den Ranger aus dem Weg zu schaffen, nähten ihn die Wilderer in das blutige Fell des erlegten Zebras ein. Für Löwen wäre er so ein gefundenes Fressen gewesen. Zum Glück konnte der noch lebende Mann von einem anderen Ranger aus seiner hoffnungslosen Lage befreit werden. Auch Martiens ist schon in gefährliche Situationen gekommen. Zum Beispiel, als er drei Männer in flagranti ertappte, die ein Nashorn wilderten. Die Situation eskalierte. Martiens erschoss das Wilderer-Trio. Hart sei das gewesen für ihn, äusserst hart. Für solche Extremfälle vermittelt das College Psychologen. Martiens betont, dass er sehr froh gewesen sei um diese Hilfe.
2015 startete im Wildlife College das Projekt «Dogs 4 Rhinos». Seither müssen Wilderer damit rechnen, dass sich ihnen ausgebildete Spürhunde an die Fersen heften. «Man kann jeden Hund trainieren, vorausgesetzt, er liebt es, zu spielen», erklärt Tina de Flamingh. Die Schweizerin wohnt mit ihrem südafrikanischen Ehemann gleich gegenüber den Hundezwingern. Sie hat Mühe, beim Sprechen das Gekläffe und Gebelle zu übertönen. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten Johan van Straaten, einem in Südafrika angesehenen Hundetrainer, bildet Tina die hochsensiblen Hunde aus.
Dank den Hunden sei die Erfolgsquote bei der Wildereibekämpfung um 90 Prozent gestiegen, sagt Helikopterpilot Jerry McDonald. Wenn Rangern auf ihrer Patrouille etwas Aussergewöhnliches auffällt, kommen die Hunde zum Einsatz. Ein Dreier- oder Viererrudel nimmt dann sofort die Spur auf. Die Tiere sind auf sich alleine gestellt und gehen ihr eigenes Tempo. Ein GPS-Sender am Halsband gibt ihre Koordinaten an die Ranger weiter, die bereits im Helikopter sitzen und die Verfolgung aus der Luft begleiten. Sie haben Ersatzhunde dabei, welche das Bodenteam ablöst, wenn der Einsatz lange dauert.
Die Hunde sind so abgerichtet, dass sie die Wilderer in Schach halten, bis die Ranger eintreffen. Wie Tina erzählt, sollen nächstens neue, schärfere Hunde dazukommen, die in Amerika ausgebildet wurden und im Ernstfall gnadenlos zubeissen. Spürhunde werden zu einer immer effizienteren Waffe gegen die Wilderei. Im College befürchtet man deshalb, dass Wilderer versuchen könnten, die Tiere zu vergiften. Laut Tina ist bis heute noch kein Hund Opfer einer Kugel oder von Gift geworden. Aber leider seien zwei Hunde direkt in eine Gruppe von Löwen gerannt, als sie eine Spur verfolgten. Natürlich hätten die Löwen sie getötet.
Ein weitverzweigtes Netzwerk
Vom College ist die Grenze zu Moçambique nur 30 Kilometer entfernt. Der niedrige Grenzzaun sei kein wirkliches Hindernis, meint Jerry McDonald. Es sei einfach, Rhinozeros-Horn, Elfenbein und Gürteltierschuppen von Südafrika nach Moçambique zu schaffen. Von dort würden sie weiter nach Asien gebracht. «Das Geschäft mit der Wilderei ist professionell aufgezogen und sehr weit verzweigt», weiss Ruan de Flamingh, Tinas Mann, der zusammen mit den de Kocks Field-Ranger ausbildet. «Ich bin sicher, dass das Netzwerk bis nach Europa reicht.» Und die Täter werden immer dreister. Erst kürzlich sei auf dem Flughafen von Johannesburg ein aus Windhoek kommender Passagier mit 43 Kilogramm Rhinozeros-Horn im Handgepäck erwischt worden, erzählt Ruan.
Im Motswari-Wildreservat hat sich der Leopard noch immer nicht gezeigt. Er bleibt unsichtbar wie Martiens, der irgendwo da draussen im Gebüsch unterwegs ist. Ein weiterer Tag geht zu Ende, der Himmel färbt sich rosarot. Eine trügerische Idylle. Zwei Geier hocken hoch oben im Geäst bei ihrem Nest. «Die Staubsauger der Natur», murmelt Sinhle verächtlich. Die Vögel sind bekannt für ihre ausgezeichneten Augen. Deshalb sagen die Einheimischen, dass man das Auge eines Geiers essen soll, bevor man einen Blick in die Zukunft tut. Wer ausprobieren will, ob daran etwas Wahres ist, muss sich beeilen. Auch die hässlichen Geier sind vom Aussterben bedroht, auch ihnen wird nach dem Leben getrachtet. Denn wenn sie irgendwo ihre Kreise ziehen, heisst das: Dort liegt ein Kadaver vielleicht der eines gewilderten Tiers. Damit so viel Aufmerksamkeit gar nicht erst entsteht, werden die grossen Vögel vergiftet. Von Wilderern.
https://www.nzz.ch/gesellschaft/reise/fuer-die-natur-suedafrikas-riskieren-sie-ihr-leben-ld.1383711